Blasebeck | Kolonialwarengeschäft Linsler-Kaufmann
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der fünften Station "Blasebeck".
BLASEBECK
Bis Anfang des 20. Jh. war die dörfliche Struktur in Gerichtstetten sehr stabil. Wer in Gerichtstetten geboren wurde, wurde meist auch hier beerdigt. Das bescheidene Leben fand überwiegend im Ort statt, nur selten ging man ins Nachbardorf oder gar nach Hardheim. Erst später wurden Fahrräder und öffentliche Verkehrsmittel populär; wer keine Kutsche hatte, musste bis dahin also zu Fuß gehen. Nicht nur einen Partner suchte man im Dorf, auch Waren und Dienstleistungen wurden aus dem Ort bezogen. Schon im Mittelalter gab es zahlreiche Handwerker, die die Menschen hier mit allen notwendigen Waren und Dienstleistungen versorgten: Neben Bäcker und Metzger gab es auch Schmiede, Wagner, Weber und Schneider, ab 1800 kamen Schuster, Müller, Schreiner, Zimmerleute, Spengler, Maurer und Tüncher dazu. Alte Straßennamen erinnern häufig an die damaligen Berufe, wie beispielsweise bei uns die frühere Kellereigasse. Auch eine Ledergasse soll es um 1700 gegeben haben. Wenn die Straßen in schlechtem Zustand waren und deshalb öfters ein Wagenrad zu Bruch ging, freuten sich die Wagner über die zusätzliche Arbeit. Nachdem man 1868 die Bahnstrecke Würzburg-Mosbach eröffnete, wurde die heutige Gerichtstetter Straße – Teil der Erftalstraße von Hardheim nach Eubigheim – ausgebaut und begradigt. So entstand eine gute Verkehrsanbindung an die Bahnstation Eubigheim Trotz der späteren Überbesetzung des Handwerks und der Auswanderung einiger Bauernsöhne in die Großstadt oder ins Ausland blieben die meisten Handwerker und Landwirte im Ort. So gab es hier bis etwa 1950 noch über 30 Handwerksbetriebe mit Lehrlingsausbildung, die nebenbei meist auch eine kleine Landwirtschaft betrieben. Durch den Strukturwandel in den letzten 70 Jahren, aber auch durch Veränderungen im privaten Umfeld, wurden schließlich viele Betriebe aufgegeben; einige Berufe sind durch die Industrialisierung inzwischen fast vollständig verschwunden.
Die Bäckerei Linsler mit Lebensmittelladen direkt an der Hauptstraße neben dem Gasthaus "Zum Ochsen" gehörte dem Bäckermeister Blasius Linsler, der im Dorf nur "Blasebeck" genannt wurde. Die 1868 neu gebaute Erftalstraße führte mitten durch seine Hofreite, wodurch ab diesem Zeitpunkt Haus und Geschäft auf der einen, Scheune und Stall auf der anderen Straßenseite lagen. Sein Sohn Franz, ebenfalls Bäckermeister, kam 1950 als Spätheimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft zurück und übernahm die Bäckerei. Gemeinsam mit seiner Frau Maria, die aus der Erfelder Mühle stammte, betrieb er das Geschäft bis 1978. Sohn Helmut, der eigentlich die Nachfolge hätte antreten sollen, verunglückte einige Jahre zuvor, die anderen beiden Kinder zogen weg. So wurde die Bäckerei geschlossen und das Gebäude beim Bau der neuen Ortsdurchfahrt 1980 abgerissen.
KOLONIALWARENGESCHÄFT LINSLER–KAUFMANN
Unweit der Bäckerei Linsler, gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite, gründete Franz Linsler (ein Namensvetter des vorherigen, dessen Frau zufällig ebenfalls Maria hieß) einen Kolonialwarenladen. Hier fand man alles für den täglichen Haushaltsbedarf: Lebensmittel, Geschirr, einfache Werkzeuge und später auch Kleidung. Franz' Sohn Gottfried erweiterte das Geschäft und Enkelin Doris führte den Laden bis zur Schließung 2004 in 3. Generation weiter.
Wer kennt noch den Beruf des Tünchers?
Früher wurden Maler auch als Tüncher bezeichnet. Der Begriff leitet sich von Tünche ab, eine weiße oder getönte Kalkfarbe, die aus Löschkalk (Calciumhydroxid) und Wasser besteht. Löschkalk wurde hier bereits ab 1577 hergestellt, dazu wurden Kalksteine in einem Kalkofen am Ortsrand Richtung Erfeld gebrannt und der daraus entstandene Branntkalk in einer Grube mit Wasser abgelöscht. Kalkfarbe wurde viele Jahre lang zum Weißeln von Wohngebäuden und Ställen genutzt, denn sie ist günstig, wasserabweisend und wirkt desinfizierend. Durch den hohen pH-Wert können Schimmelpilze und andere Keime darauf nicht über- leben. Allerdings ist die Farbe während der Trocknung empfindlich gegenüber Sonnenlicht und Kälte, weshalb sie im Laufe der Zeit von Tapeten und Dispersionsfarben abgelöst wurde