Gasthaus "Zum Ochsen"
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der vierten Station Gasthaus "Zum Ochsen".
GASTHAUS "ZUM OCHSEN"
Ab 1635 wurde das Kirchenwesen im Ort vom Kurfürstentum Pfalz geregelt. Die regierenden Herrschaften durften die Konfession fest- legen, so war es beim Augsburger Religionsfrieden 1555 vereinbart worden. Der Kurfürst ließ jedoch weder die Grafschaft Wertheim noch das Kloster Amorbach mitbestimmen, obwohl diese in Gerichtstetten ebenfalls über das Herrschaftsrecht verfügten. Der Gottesdienst wurde von einem reformierten Pfarrer abgehalten, dabei waren gegen Ende des 17. Jh. fast alle Dorfbewohner katholisch. Immerhin war es ihnen nach dem Dreißigjährigen Krieg erlaubt worden, anders- gläubige Gottesdienste in der Umgebung zu besuchen. Als 1685 die reformierte kurfürstliche Linie ausstarb und die katholische Linie die Regierung übernahm, war die Kirche zwar immer noch reformiert, doch der neue Kurfürst erlaubte den katholischen Gottesdienst. Mit Einverständnis des lutherischen Wirts Martin Walter hielt Pfarrer Braungart aus Bretzingen die heilige Messe im zweiten Stock des späteren Gasthauses "Zum Ochsen". Martin Walter war damals auch Wertheimer Schultheiß und vertrat die Interessen der Grafschaft im Dorf. Nach einem Streit über den Bannwein, den der Graf zu seinen Gunsten im Wirtshaus ausschenken lassen wollte, wurde Martin Walter 1687 abgesetzt. Mit dem Tausch der Exklave Mückenloch bei. Heidelberg gegen den kurpfälzischen Teil von Gerichtstetten, begann das Hochstift Würzburg im Jahr 1691 mit der Rekatholisierung unseres Dorfes. Der ehrsame Martin Walter wurde wieder Schultheiß, diesmal als Vertreter des Würzburger Bischofs. Er war zum katholischen Glauben konvertiert und ließ 1706 gegenüber seiner Wirtschaft einen Bildstock errichten.
Nachdem das Gasthaus über 100 Jahre als Schankwirtschaft geführt wurde, war es für den Wirt Joseph Geier nicht einfach, die Schildgerechtigkeit zu erhalten. Wie Franz Geiger vom Gasthaus "Zum Hirsch" hatte auch er sich um dieses Recht beworben, was zunächst abgelehnt wurde. Mit Hilfe des Ratschreibers erfolgte ein neues Gesuch. Scheinbar konnte er beim zweiten Mal mit guten Argumenten überzeugen, schließlich hatte es in Gerichtstetten schon immer vier Schankwirtschaften gegeben, die auch Fremde beherbergten und verpflegten. Er bestand darauf, das gleiche Recht wie Franz Geiger zu haben – nicht nur, weil er genauso viele Steuern zahle, sondern weil er sogar noch mehr Gäste bewirtete als sein Konkurrent. Außerdem genügte eine einzige Schildwirtschaft in Gerichtstetten nicht, der Ort zählte nämlich als damaliger Sitz des herrschaftlichen Rentamtes zu den bedeutendsten im ganzen Bauland. Mit 114 Bürgern (zu jener Zeit wurden nur männliche Erwachsene gezählt, hinzu kamen etwa 430 Frauen und Kinder) war das Dorf ein wichtiger Sammelplatz für Vieh- und Fruchthändler. Die neue Landstraße von Hardheim nach Rosenberg führte durch Gerichtstetten und viele Kaufleute und Reisende verbrachten ihre Mittagspause im Ort oder übernachteten hier. Schlussendlich gab das Ministerium dem Gesuch statt, wofür allerdings eine Gebühr von 25 Gulden fällig wurde – vermutlich der Hauptgrund für die Genehmigung. Nach dem Tod von Joseph Geier übernahm Sohn Matthäus Karl den Titel "Ochsenwirt", doch dieser starb schon im Alter von 43 Jahren. Seine Witwe Maria Anna heiratete später Erasmus Müller, dem das Anwesen überschrieben wurde. Nachdem das Gasthaus einige Generationen im Besitz der Familie Müller blieb, heiratete Wirtstochter Lina den Metzger Edmund Schweitzer aus Schillingstadt, der 1927 die Wirtschaft übernahm und viele Jahre lang gemeinsam mit seiner Frau betrieb. Seitdem befindet sich das Gasthaus im Besitz der Familie Schweitzer. 1953 trat zunächst Sohn Alfred mit seiner Frau die Nachfolge an, 1986 führte Enkel Hubert mit seiner Frau den Betrieb weiter. Nach deren Tod über- nahmen Huberts Schwestern das Gasthaus und sorgen bei Vereinsversammlungen oder privaten Feierlichkeiten für das Wohl ihrer Gäste aus Nah und Fern.
Wie lief in den 1950er Jahren ein typisches Schlachtfest ab?
Die Ferkel wurden im Frühjahr gekauft, mit Kartoffeln und Schrot gefüttert und im Herbst mit einem Gewicht von 150-200 kg geschlachtet, üblicher- weise zu Hause mit dem Hausmetzger. Während der Metzger das Schwein für die Verwendung als Schinken, Schnitzel, Braten oder Wurstfüllung zerlegte, erklärte er den Kindern seine Arbeit. Nach der Freigabe durch den Fleischbeschauer wurde die Füllung für die Würste gekocht. Dann kam alles auf den Tisch und jeder durfte sich satt essen. Dazu gab es Brot und Most. Aus dem Rest wurden Kochwürste zubereitet und auf dem Dachboden geräuchert. Die Gretelsuppe (Wurstbrühe) wurde oft mit einem Stück Wurst an den Nachbar, Pfarrer oder Lehrer verschenkt. Bratwürste wurden aus rohem Fleisch hergestellt und nur geräuchert oder getrocknet, das letzte Paar durfte der Metzger als Dank behalten.