Rathaus
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der dritten Station "Rathaus".
RATHAUS
Es hat lange gedauert, bis die demokratische Wahl der Dorfobrigkeit durchgesetzt wurde. Die Herrschaften setzten in ihren Gebieten Schultheißen ein und betrauten sie mit der Einziehung von Abgaben, der Leitung des Ortsgerichts und allgemeinen Aufgaben der Dorfverwaltung. Dabei gab es im Laufe der Zeit verschiedene Wahlmethoden: die Wahl durch die Dorfgemeinde – wobei nur verheiratete Männer wahlberechtigt waren – die Bindung des Amts an bestimmte Familien und Hofgüter oder die direkte Ernennung durch die Herren. Der erste, heute bekannte Schultheiß in Gerichtstetten wurde Anfang des 15. Jh. eingesetzt, vermutlich vom Kloster Amorbach. Im 17. und 18. Jh. wurde von den zwei Ortsherren und dem Kloster Amorbach jeweils ein eigener Schultheiß eingesetzt. Das war für die Dorfbewohner nicht immer einfach, denn die Schultheißen vertraten verschiedene Interessen und verlangten häufig ein unterschiedliches Recht. Dabei versuchte das Kurfürstentum Pfalz möglichst oft einen Vorteil gegen- über der Grafschaft Wertheim und dem Kloster Amorbach zu erlangen. Erst zu Beginn des 19. Jh. wurden unter badischer Herrschaft die ersten Bürgermeister eingesetzt. Diese waren zunächst als Gemeinderechner tätig, verwalteten die Gemeindekasse und unterstanden den Schultheißen. Als Kaution mussten sie Äcker oder Geld hinterlegen, so bestand kein Risiko, dass sie mit der Kasse durchbrannten. Um Gemeinderechner zu werden, musste man also wohlhabend sein. Im Laufe der Zeit setzte sich das Amt des Bürgermeisters durch und löste das des Schultheißen schließlich ab. Das Großherzogtum Baden führte 1832 geheime Bürgermeisterwahlen ein. Diese wurden im zweiten Weltkrieg verboten, erst 1948 fanden wieder die ersten demokratischen Wahlen statt.
Im Jahr 1900 errichtete die Gemeinde ein neues Rat- und Schulhaus. Mit dem Neubau wollte der damalige Bürgermeister die schulischen Verhältnisse im Ort verbessern, denn das dritte Schulgebäude beim Milchhäusle war abermals zu klein geworden. Zwischen 1850 und 1900 stieg die Bevölkerung im Ort von etwa 700 auf über 800 Personen, dementsprechend wuchs auch die Anzahl an Kindern. Neben dem Rathaus als Sitz des Bürgermeisters und einem großen Bürgersaal entstanden also auch zwei große Schulsäle mit separatem Eingang. Für den Schulleiter wurde eine Lehrerwohnung mit Küche, Bad, Waschküche und Keller eingerichtet, für die zweite Lehrkraft gab es ein Unterlehrerzimmer mit Waschbecken und Toilette. Im Erdgeschoss, links und rechts vom Rathauseingang, waren zudem der Geräteraum der Feuerwehr und das Dorfgefängnis untergebracht. Die Freude über diesen vielseitig genutzten Neubau war groß.
1952 zog die Feuerwehr aus dem Gebäude aus, um in das neu gebaute Kindergartengebäude am heutigen Dorfplatz zu ziehen. Zudem hatten sich nach über 50 Jahren die Anforderungen an die Lehre und das Lernen geändert und wurden an diesem Standort nicht mehr erfüllt. So erwarb die Gemeinde das Gelände am Steinig oberhalb des Wasserreservoirs. Seit 1964 befindet sich dort das fünfte und bis heute genutztes Haus des Lernens, zu dem eine Turnhalle, Werkräume und seit 1990 auch ein Kindergarten gehören. Mit dem Umzug wurde die Sekundarstufe zunächst nach Altheim und 1973 mit der Gemeindereform nach Hardheim eingegliedert.
Trotz der Gemeindereform bildete das Rathaus noch lange Zeit den Dorfmittelpunkt und hat seine Bedeutung bis heute nicht verloren. Der Ortsvorsteher, der den Bürgermeister ablöste, hielt bis 2000 regelmäßig eine Bürgersprechstunde. 2011 wurde das denkmal- geschützte Gebäude umfangreich saniert. Das alte Schulhaus wird heute von der Katholischen Landjugend und der Kyffhäuser Kameradschaft genutzt. Der Ortschaftsrat, der den Gemeinderat ablöste, hält im Bürgersaal seine Sitzungen. Die Räumlichkeiten werden außer- dem für zahlreiche Vereinsversammlungen und -aktivitäten genutzt.
Was besagte die "Alte Gerechtigkeit" im Ort?
Gemeinden und Ortsherrschaften erließen ab dem frühen Mittelalter gemeinsame Dorfordnungen. Um 1600 gehörte die Hexerei zu den schweren Verbrechen und wurde – wie Mord oder Diebstahl – vor dem Centgericht verhandelt. Der damals verbreitete Aberglaube führte dazu, dass Unwetter oder Krankheiten unbeliebten Frauen zugeschoben wurden. Auch in Gerichtstetten gab es Frauen, die man der Hexerei bezichtigte. Zehntvergehen wurden ebenfalls hart bestraft, denn sonst hätten viele Bauern versucht, die Abgaben an die Herrschaften zu kürzen. Kleinere Vergehen wurden vor dem Ortsgericht entschieden. So war es um 1720 verboten, sich im Winter nach 20 Uhr und im Sommer nach 21 Uhr im Wirtshaus aufzuhalten. Männer sollten vor dem "Überweinen" und daraus folgenden unsittlichen Verhaltensweisen bewahrt werden.