Gasthaus „Zum Hirsch“
Übersicht der Tafeln im Ortskern
Der Geschichtliche Rundgang Gerichtstetten ist eine interessante Möglichkeit, unseren Ort zu entdecken und zu erleben. Vorbei an 16 Stationen spazieren Sie entlang der Geschichte von Gerichtstetten und erfahren viele interessante Hintergründe über das Arbeiten, Leben und Wohnen in früheren Zeiten. Sie befinden sich hier an der elften Station "Gasthaus Zum Hirsch".
GASTHAUS "ZUM HIRSCH"
Der Bäcker Andreas Geiger war einer der ersten, uns heute bekannten Wirte in Gerichtstetten. Schon 1666 betrieb er im Ort eine Schankwirtschaft. Zudem unterstütze er als kurpfälzischer Schultheiß das Kurfürstentum Pfalz bei der Einziehung des Zehnts und der Vollstreckung von Urteilen. Sein Sohn und Nachfolger Johann Georg heiratete die Tochter des "Ochsenwirts" Martin Walter und nahm 1687 dessen Platz als Wertheimer Schultheiß ein. Johann Georg war lutherisch, konvertierte aber 1732 am Sterbebett zum katholischen Glauben. Weitere Nachfahren der Familie Geiger wurden Wirte und Schultheiße, nicht nur in Gerichtstetten, sondern auch in den umliegenden Dörfern Erfeld, Pülfringen und Gissigheim. Einer davon war Franz Edmund Geiger, er erhielt im Januar 1821 als erster im Ort die offizielle Schildgerechtigkeit und nannte seine Wirtschaft "Zum Hirsch". Fortan durfte er also seine Gäste auch über Nacht beherbergen und ihnen warme Speisen und Getränke anbieten. Franz Edmund war, genau wie sein Vater, bis zu seinem Tod 1839
Amorbacher Klosterschultheiß. Obwohl das Kloster Amorbach bereits 1803 in den Besitz des Fürstentums Leiningen überging, hatte sich der Titel Klosterschultheiß so eingebürgert, dass ihn Franz Edmund sein ganzes Leben lang behielt und ihn sogar an seinen
Sohn Franz Alois weitervererbte. Zudem standen dem Kloster immer noch die Zehntabgaben zu, diese gingen erst etwa 50 Jahre später an Leiningen über.
Franz Alois, der in die Fußstapfen seines Vaters getreten war, ließ um 1850 die alte Wirtschaft abreißen und erbaute an gleicher Stelle ein neues Gasthaus. Er verewigte sich an der kunstvollen Barocktreppe mit der Inschrift "Im Jahr MDCCCL hat Franz Alois Geiger Klosterschulz von Amorbach dieses Haus erbaut". Das Ende der Jahreszahl ist verwittert, weshalb das Baujahr 1850 nicht eindeutig belegt ist. Das Gasthaus "Zum Hirsch" wurde von Vater zu Sohn weitergegeben und blieb so weitere vier Generationen in den Händen der Familie Geiger, bevor es 1986 geschlossen wurde. 2016 ist das Anwesen verkauft worden und dient seitdem als Wohnhaus.
Neben dem ehemaligen Gasthaus "Zum Hirsch" auf dem Hof von Franz Frey stand auf der Mauer zur Straßenseite eine Pieta, die Darstellung der trauernden Maria mit dem Leichnam Jesu Christi im Schoß. Beim Neubau der Kirche 1772 hatte man für die Statue wohl keine Verwendung mehr, so fand sie auf Franz´ Hof einen neuen Platz. Viele Jahre lang erfreuten sich die Familien Frey und Geiger an ihrem Anblick, bis 1998 die Hofreite Frey verkauft wurde. Da der neue Besitzer kein Interesse an der Pieta zeigte, wurde sie aufwendig restauriert und zur 800-Jahr-Feier im Jahr 2015 an der südlichen Kirchen- mauer aufgestellt, wo sie fast ihren alten Platz zurückeroberte. Mit dem neuen Sockel und der Inschrift erinnert die Statue an die 13. Station des Kreuzweges "Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt" und regt Vorbeigehende zu einem kurzen Gedenken an. Die früheren Gasthausbesitzer müssen wohlhabend gewesen sein: Den Eingang an der Gerichtstetter Straße zierte mal ein schmiedeeisernes Tor. Die schöne Statue der Maria Immaculata aus dem 18. Jh. ist bis heute erhalten.
Das Schildrecht: Was war das und galt es auch in Gerichtstetten?
Das Schildrecht ist entstanden, als der überregionale Verkehr zunahm und es notwendig wurde, Wirtschaften für Ortsfremde kenntlich zu machen. Schank- oder Straußwirtschaften durften keine Übernachtungsgäste auf- nehmen und servierten nur Getränke mit Brot oder Brezen. Dort trafen sich vor allem die Ortsansässigen, um Neuigkeiten auszutauschen und heimlich Karten zu spielen. Ein Strauß am Fenster oder an der Tür zeigte an, dass der Wirt geöffnet hatte. Den vier Straußwirtschaften im Ort war es dennoch auch ohne Schildgerechtigkeit erlaubt, Beherbergung anzubieten. Mit dem Schildrecht durften die Wirte ab 1821 ganz offiziell mit Schild und Namen ein öffentliches Gewerbe betreiben, mussten im Gegenzug aber das Ohmgeld (Weinsteuer) bezahlen. Bedeutende Symbole wie Ritter, Engel, Adler – oder eben der Hirsch – dienten der Namensgebung.